Ernst Bloch und HAP Grieshaber
„Lieber HAP, nachdem wir am 11. September mit den yugoslawischen Schriftstellern die schönen Stunden in ihrem zauberhaften Garten verbringen durften, schrieben Sie am 12.9 ´… das war ein böses Erwachen – Chile. Man kann es immer noch nicht fassen, das Ausmaß an Leid, das über ein so tapferes Volk stürzte. Und nach einigen Wochen neues Leid im Nahen Osten. Ich sehe mir ihren „Engel der Geschichte“ 1971 (Anmerkung: 1970) an, mit den zärtlichen Kamelen, mit hebräischen und arabischen Lettern zwischendurch. So viel Versöhnendes strömt aus diesem Buch. Aber Versöhnung ist nicht da, auf beiden Seiten sterben sinnlos junge Menschen. … Diese paar Worte schreibe ich Ihnen, nachdem ich wieder Ihre und Dahim Brahaks Kamele betrachtet habe, nachdem ich wieder bewegt war von Ihrer weiten Menschenfreundlichkeit, in der man Trost suchen muß. …“, schreibt Karola Bloch in einem Brief vom 22.10.1973 (1) an HAP Grieshaber. Seit 1968 erledigte Karola die Korrespondenz für ihren nahezu erblindeten Mann.
Bereits 1969 hatte der Holzschneider Kontakt zu Ernst Bloch, der in der DDR von der Stasi beobachtet und verhört wurde, da er sich nicht der offiziellen Lehrmeinung der SED – gerade was die Wertschätzung Hegels anlangte – anschloss.
Grieshaber selbst ist es, der in einem Brief vom 1.9.1969 an seine Gefährtin Margarete Hannsmann davon erzählt, dass Ernst Bloch auf der Achalm „seinen Hut zurückgelassen hat“ und ein „türkischer Grieche“ ihn „erben“ werde. (2)
Mit diesem meint Grieshaber sich selbst, den - in der türkischen Tradition des Karaghiosizspielers sich bewegenden - und Griechenland-affinen Künstler, der die arkadische Idylle in der schwäbischen Wacholderalb sowie im – durch mythische Anspielungen erhöhten Alltag - zu leben suchte.
Bereits durch diesen Briefwechsel manifestiert sich die Intensität der Dialoge, die der Holzschneider – nicht nur mit Bloch – führt und anregt für gemeinsame Werke. Bei den Besuchen und den zahlreichen Briefen geht es um Politik, Zeitgeschehen und Grieshabers – auf Walter Benjamin - zurückgehende – Publikation „Über den Begriff der Geschichte“. In seiner neunten These beschreibt Benjamin das 1920 entstandene Bild des „angelus novus“ von „Paul Klee, das einen Engel zeigt, der aussieht als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt.
Die Bloch-Literatur in Grieshabers umfangreicher eigener Bibliothek ist von Ernst und Karola Bloch mit freundlichen Widmungen an Grieshaber und die Schriftstellerin Margarete Hannsmann – mit der er die Wort-Bild-Symbiose lebendig werden ließ – versehen.
Der Holzschneider besaß die Originalausgabe des 1918 erschienenen zentralen Werkes von Ernst Bloch „Geist der Utopie“.
Zum 85. Geburtstag Blochs schneidet er einen „Engel der Geschichte“ – und es ereignet sich etwas sehr Peinliches:
„hochverehrter Ernst Bloch, liebe, verehrte Frau Camilla (Anmerkung: Karola), es ging vieles schief. Die Zchng. zu den Liedern des neuen span. Widerstandes hat eine Blindschleiche überzeichnet und versaut, sie hat mich hingemacht. Es war der Anfang in dem großen Verlag und ich wollte in allen Buchhdlg. Ihren Namen laut und deutlich sagen. Den Fehler muss ich stehen lassen. Was ich nicht stehen bzw. liegen lassen werde, ist, dass die Hunde auf Ihren Spruch am Mahnmal in Stuttgart scheißen. In diesem Sinne Gesundheit in neuen Jahren herzlich Euer Grieshaber.“(3)
„Blochengel“ als Massenauflage contra Wandaktie
Das vorgesehene Quartformat geriet zu klein, die Reproduktionen, die ursprünglich in den düsteren „Guernica-Farben wie Grau und Schwarz“ gehalten sein sollten, kamen rosa- und grünstichig ans Tageslicht. Eine „Blindschleiche“ von Zinkätzer trug dafür die Verantwortung. Dieser „Bloch-Engel“ sollte im Claassen-Verlag in Hamburg und Düsseldorf erscheinen – wie bei keinem „Geschichtsengel“ zuvor erhöhte Grieshaber die Auflage auf 5000. Seine Werke sollten keine Wandaktien sein, sondern Flugblätter politischen Inhaltes, den Geist einer Utopie im Inneren tragend, Hoffnung auf Frieden verströmend. Wir befinden uns immerhin inmitten atomarer Aufrüstung, des Kalten Krieges, damit zusammenhängend den Studentenunruhen und Tübingen zählte zum hotspot, Bloch zu einem ihrer zentralsten Protagonisten.
Bloch gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten, mit denen sich Grieshaber im ständigen Austausch befand, doch auch viele andere Intellektuelle, Künstler und Philosophen befruchteten das Grieshabersche Werk, bildeten den Treibstoff seiner künstlerischen Inventionen in Wort und Bild. Als Kongruenz der künstlerischen Intention von Grieshaber und der Philosophie von Bloch mag der erste Satz von Blochs „Tübinger Einleitung in die Philosophie“ (1963) gelten: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ Hier begegnen sich das Prinzip Hoffnung und der Geist der Utopie: Die Existenz des Menschen und das Ziel der Selbstverwirklichung, die Freiheit und das friedliche Zusammenleben – ausformuliert im philosophischen Text und ikonisch manifest im malerischen Werk.
Wie es von Anbeginn der feste formulierte Anspruch dieser Monografie ist, wollen wir – pars pro toto – nur schlaglichtartig beleuchten und exempla herausgreifen, die aus unserer Sicht einen signifikanten Aspekt im Grieshaberschen oeurvre verdeutlichen. Damit erheben wir nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Heinrich Böll, der „Gaukler“ und der „Clown“
127 Bücher gestaltete Grieshaber mit Dichtern und Schriftstellern wie Heinrich Böll, Volker Braun, Walter Jens, Ernst Jünger, Margarete Hannsmann, Sarah Kirsch.
Heinrich Böll zählt – parallel zu Ernst Bloch –zu den bedeutenden Schriftstellern, die den Holzschneider intellektuell begleiten und zu Partnern für gemeinsame Wort-Bild-Werke werden.
1960 gibt Heinrich Böll zusammen mit Werner von Trott zu Solz, Walter Warnach und HAP Grieshaber die Zeitschrift „Labyrinth“ heraus, die 1962 nach sechs Heften „aus verschiedenen Gründen“ wieder eingestellt wurde. Intention der Zeitschrift war es, „auf christlicher Basis einen Gegenentwurf zum bestehenden gesellschaftlichen und politischen System zu formulieren“ und Böll erklärt, dass jeder der Autoren eine Erklärung des Scheiterns verfasst habe – „aus meiner kurzen Erklärung wurde dann der Roman „Ansichten eines Clowns“ dessen mythischer `plot` die Sage vom Labyrinth – so hieß die Zeitschrift- ist.“ … „Ein simpler `plot`, eine einfache `story`- Theseus als Clown, Ariadne als Marie und der politische und theologische-gesellschaftliche Katholizismus im Nachkriegsdeutschland als vom Minotaurus beherrschtes Labyrinth.“ (4)
Wie rezipiert Grieshaber Heinrich Böll in seinem Werk? Nun - schon der erste „Engel der Geschichte I. Den Kölner Lehrerinnen gewidmet“ enthält Beiträge von Heinrich Böll. (5)
Kreativ agierendes Außenseitertum
In seinem gewaltigsten Werk, mit dem er den europäischen Markt erobert und mit dem er als erster Künstler der BRD mit einem Verlag der DDR zusammenarbeitet – dem „Totentanz von Basel“ (40 Holzschnitte und mittelalterliche Texte von 1966) findet auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Böllschen Jahrhundertfigur des „Clowns“ statt.
Grieshabers Rezeption des „Basler Totentanzes“ von 1440 erfolgte über eine 1852 herausgegebene Touristenausgabe mit einem Nachstich von Matthias Merians d.Ä. („Todentanz“).
Wir sehen hier den zerstörten „Basler Totentanz“ in einer Aquarellzeichnung des Malers Johann Rudolf Feyerabend von 1806.
Während Grieshaber den „Gaukler“ des „Totentanz“ ins Holz schneidet schreibt er am 6.2.1966 an den Cheflektor des Verlages Buch und Kunst, Rudolf Mayer:
„Gaukler ist ein Begriff, den meine katholischen Freunde nicht mögen. Böll machte lieber einen Clown daraus. Vielleicht ist der Philosoph und Theologe Karl Rahner aufgeschlossener und moderner? Er soll gerade an einem Vorwort für einen frz. Marxisten schreiben (…). Sicher ist es die Ratio, mit der er auch das Konzil beeinflusste. Dann hat sogar der Gaukler Glück! Zwischen dem Mönch und dem Gaukler gibt es immer Wege, die aus schlechter Metaphysik und Aberglauben herausführen, aus einer Geisteshaltung, die Romantik und Idealismus, d.h. ihre Relationen zur Wirklichkeit so grausam und lasterhaft für uns gemacht haben. Die Wirklichkeit der Bombe reduziert so manchen auf wirkliche Phänomene. Wer im Sichhalten und Trotzen weitermachen will, ist sicher ein Feind des Gauklers und ihres treuen vieux Grieshabers.“ (6)
Der Holzschneider sieht den „Narr“, den er hier als „Gaukler“ betitelt, in Spiegelung mit Bölls „Clown“, einem tragischen Außenseiter der Gesellschaft. Er verweist auf die Person des Hans Schnier, der sich weigert, seine Kinder katholisch zu erziehen. Schnier stellt sich barrikadenhaft bestehenden Machtstrukturen entgegen und mutiert am Schluss arm und krank zum Bettler. Der „Narr“ des „Totentanzes“ enthüllt seine Persönlichkeit erst vor dem Hintergrund von Bölls „Clown“.
Walter Jens und die Tübinger Universität
Es ist immer wieder der Widerstand, den Grieshaber im fruchtbaren Holz symbolisch auszudrücken versuchte, verbunden mit dem Anspruch, multimedial und mit der Unterstützung prominenter Zeitgenossen zu kommunizieren.
Hätte er voraussehen können, dass im September 1983 Heinrich Böll und Walter Jens gemeinsam mit anderen bekannten Theologen und Schriftstellern an einer Sitzblockade vor dem Pershing-Depot in Mutlangen teilnehmen? Die Wahrscheinlichkeit, dass er selbst dabei gewesen sein könnte, ist nicht gering.
Walter Jens, Altphilologe, Literaturkritiker und -historiker, Übersetzer und Schriftsteller, gründete vor genau 50 Jahren das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Der spätere Präsident des PEN-Zentrums Deutschland und Präsident der Akademie der Künste zu Berlin, der bei Karl Büchner über die sophokleische Tragödie promovierte, war Mitglied der Gruppe 47, in der sich deutschsprachige Schriftsteller trafen und lasen und zu der Hans Werner Richter von 1947-1967 einlud. Zu ihnen gehörten unter anderem Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried, Günter Grass, Helmut Heißenbüttel, Siegfried Lenz, Peter Rühmkorf. Als Gäste und Kritiker traten auf – auch hier eine Auswahl – Hellmut Karasek und Marcel Reich-Ranicki, der später in Tübingen auch Gastvorlesungen hielt. Die Gruppe 47 hat mit ihren Autoren die deutsche Literatur nach Kriegsende und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt. Mit Walter Jens verbinden Grieshaber nicht nur zahlreiche gemeinsame Werke.
Nach Tübingen streckt Grieshaber schon lange vor den großen Studentenunruhen seine Fühler aus. Im Jahr 1949 zeigt er seinen „Pan im Frühling“ in der Ausstellung des Tübinger Studentenstudios für moderne Kunst in der Universitätsbibliothek, die von einem Katalog begleitet wird.
„Attempto“: Für einen lebendigen Kunstdiskurs und gegen das Vergessen
Da Walter Jens von 1945 bis 1949 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hamburg und Tübingen tätig war, ist davon auszugehen, daß er schon früh HAP Grieshaber kennenlernte. Dieser wendet sich im Ausstellungskatalog mahnend an die „Kommilitonen“ und verweist darauf, dass eine „Anzahl von Studenten der Kunstwissenschaft“ es als „notwendig“ empfinde, „erneut moderne Kunst im akademischen Bereich zur Diskussion zu stellen“, und er fährt fort: „Allein das Vielfältige, das sich im Begriff moderne Kunst vereint, und das in all seinen differenzierten Arten bereits ein halbes Jahrhundert gültige Äußerungsweise künstlerischer Lebendigkeit gewachsen ist, trifft noch immer auf verständnislose Abwehr.“
Der Holzschneider zeigt auch Blätter aus den Folgen „Hiob“ 1934, „Passion“ 1935, „Alb“ 1936 und das Buch „Herzauge“ 1937, Werke aus einer Zeit politischer Repression, in der er nicht frei arbeiten und ausstellen konnte.
1966 gibt Walter Jens die vom Akademischen Presserat publizierten Nachrichten „Attempto“ (Heft 19/20) für die Freunde der Universität Tübingen heraus und darin findet sich auf Seite 87 der Beitrag von Helmut Breithaupt: „Erste Kunstausstellung des Allgemeinen Studentenausschusses mit Reprod. nach H von Grieshaber“. Es folgen weitere Beiträge Grieshabers in den „Attempto“-Ausgaben. Einer klaren, kurzen, humorvollen Rhetorik folgend fragt Walter Jens – nachdem Grieshaber ein neues Signet für „Attempto 57/58“ präsentiert – den Holzschneider, ob es sich bei der pflanzlich-ornamentalen Form um „Knollenmergel“ (geolog. Sedimentablagerungen) handele. (7)
Aus dem „Knollenmergel“ erwächst die „Uracher Palme“
Dieser gewinnt 1976 Kontur und erscheint anläßlich des 500. Jubiläums der Tübinger Universität als die bekannte „Uracher Palme“ , eine Hommage an den Unigründer Eberhard V. von Württemberg, genannt Eberhard im Barte, der sich den Sinnspruch „Attempto – ich wage es“ auf die Fahne seiner 1468 stattfindenden Pilgerreise ins gelobte Jerusalem schrieb.
Einer langen, beschwerlichen und gefährlichen Unternehmung – die von 25 Adligen, dem Leibarzt Johannes Münsinger, zwei Köchen, einem Seidensticker, zwei Kaplänen, einem Barbier und zwei Knechten – begleitet wurde. Nicht nur das historische Wissen um württembergische Vergangenheit ist Thema dieser Zusammenarbeit, sondern gerade auch das Bewusstsein christlicher Tradition und es mündet ein in zentrale Werke wie „Jesus von Nazareth“ mit Nachwort und Farbholzschnitten von HAP Grieshaber, erschienen 1978; nach Grieshabers Tod 1981 in der Publikation „Frieden. Die Weihnachtsgeschichte in unserer Zeit“ 1989 und 1991 in dem Buch „Am Anfang der Stall, am Ende der Galgen. Das Evangelium nach Matthäus“. Der evangelische Christ Walter Jens und HAP Grieshaber, der sich keiner Konfession zugehörig sah, trafen sich - so könnte hypothetisch formuliert werden auf der Agitationsbühne politisch-historischen Handelns. Der Holzschnitt ist Grieshabers Hauptmedium, für den er sich während des Nationalsozialismus entschied, weil er mehr drucken konnte als zu beschlagnahmen gewesen wäre. Grieshabers aufklärerische Gesinnung findet seine Spiegelung in Luther, der seine reformatorischen Gedanken nie ohne den Buchdruck hätte unter das Volk bringen können.
Aus dem Schoß des Kultus herausgekommen – ganz im Sinne eines Geschichtsphilosophen wie Walter Benjamin, den Grieshaber intensiv rezipierte, gerät die Druckgrafik zum stets neu aktualisierbaren Medium. In Teil 7 der Grieshaber-Monografie wird dieser Affinität HAP Grieshabers zu Benjamin ein eigenes Kapitel gewidmet. Jede politische regimekritische Aktion geht für Grieshaber auf die Bauernkriegsaufstände zurück und aus diesem Aspekt definiert er sein Tun als Holzschneider.
Ein Tanz zwischen zwei Grenzen: DDR Autoren und die Rolle Grieshabers
Als Rückgriff Grieshabers auf Zeiten des reformatorischen Aufbegehrens und der Glaubenskriege mag das Fresko des „Basler Totentanzes“ (um 1440) hervorgehoben werden: ein memento mori, eine Bildmetapher und ein Signum für die Endlichkeit des Daseins und das Jüngste Gericht. In seinem Totentanz-Zyklus von 1966 reformuliert Grieshaber die mahnende Botschaft des Bildes. Kritisch auf die Moderne blickend schneidet er die Grenzen des Lebens ins harte Holz.
Mit dem „Totentanz von Basel“ überwindet er die innerdeutsche Grenze und gewinnt dadurch die Möglichkeit mit den damals arriviertesten Autoren deutscher Gegenwartskultur – wie Erich Arendt, Stephan Hermlin, Volker, Braun, Franz Fühmann, Rainer und Sarah Kirsch und Christa Wolf – Bücher und Mappen zu gestalten. Grieshabers Begegnung mit dem KPD-Mitglied und Angehörigen des „Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ Erich Arendt fand über den chilenischen Dichter Pablo Neruda statt, dessen Werk „Aufenthalt auf Erden“ Arendt zusammen mit Stephan Hermlin ins Deutsche übertrug und zu dem Grieshaber Holzschnitte schuf. Arendt war als Reporter und Bibliothekar mit einer „fliegenden Bücherei“ unterwegs. Mit Hermlin gab Grieshaber 1975 die „Städteballaden“ heraus, die Einsamkeit der Großstadt und die Möglichkeit der Überwindung in den Focus nehmend, es entstehen Motive wie „Pegasus“, „Janus“, „Medusa“, die in der Form antiker Gemmen zum Ausdruck kommen. Ein weiteres Werk ist die Mappe „56 000 Buchenwald“ mit Lithografien, Radierungen und Holzschnitten von Fritz Cremer, HAP Grieshaber, Herbert Sandberg und Texten von Krzysztof Emil, Baczynski, Musa Dshalil, Paul Eluard, Stephan Hermlin und seiner Lebensgefährtin, der Stuttgarter Schriftstellerin Margarete Hannsmann, deren gemeinsamen Lebensabschnitt wir ebenfalls in einem eigenen Kapitel Rechnung tragen. Anlässlich einer Lesung von Hermlin im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am 3.12.1979 schneidet Grieshaber das Plakat „Gorgo“.
Die Biografien Hermlins und Grieshabers weisen Parallelitäten auf. Hermlin, Drucker illegaler, politischer Schriften musste bis 1936 im Untergrund arbeiten, flüchtete später nach Ägypten, reiste anschließend nach Palästina und England und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg. Das Mitglied der „resistance“ war später in Frankreich interniert, floh in die Schweiz und begann dort zu arbeiten. Nach Deutschland zurückgekehrt wird er zum Vizepräsidenten des Schriftstellerverbandes gewählt, sein langjähriger Protest gilt dem Rüstungswettlauf inmitten des Kalten Krieges – zunehmend wird er dadurch vom Staat ausgegrenzt. Grieshaber sieht sich verbunden mit Hermlin und Neruda, der als Mitglied der verbotenen KP als Emigrant in der UdSSR und China lebte. Anlässlich der in Leipzig und Weimar stattfindenden Buchvorstellung „Aufenthalt auf Erden“ verweist Grieshaber in einer Rede (8) auf diese Verbundenheit, da er bereits als Neunzehnjähriger und Ägyptenreisender Nerudas die „Begeisterung und Beharrlichkeit“ gekannt hatte und schon 1938 hätten ihm am Züricher See Verwundete der Internationalen Brigade Gedichte mitgegeben. „Sozusagen als eiserne Ration, die zu multiplizieren war.“ Und auch Nerudas Diktum „Poesie ist für mich wie Brot“ habe er verinnerlicht und später die „Urgewalt der Natur, den großen Gesang von der Solidarität“ gelesen. 1965 entstanden Grieshabers Holzschnitte zu Nerudas „Die Höhen von Macchu Picchu“.
Auf der Biennale 1973 in Rostock – und deren Buchbazar – lernen Grieshaber und Hannsmann Volker Braun kennen – er stieß auf Werke des Holzschneiders wie „Herzauge“, den „Baseler Totentanz“ und Nerudas „Aufenthalt auf Erden“. Gemeinsam gingen sie anschließend ins Volkstheater, um sich die Neufassung des Stückes „Hölderlin“ von Peter Weiss anzuschauen. Diese Begegnung trug Früchte, nahm Form an, manifestierte sich in einem „Wacholderengel“ mit zwei Orginallithografien von Rolf Szymanski und Horst Antes sowie einer typografischen Arbeit von Josua Reichert.
Gegen Krieg und Umweltzerstörung
Grieshabers Kassandraruf verbildlichte sich in Form von zehn Holzschnitten, die bedrohte schwäbische Alb in den Brennstrahl der Betrachtung nehmend und er nannte die Feinde beim Namen: Tourismus, militärische Übungen, Umweltverschmutzung. Auch Rose Ausländer, der schwäbische Mundartdichter Wilhelm König, Volker Braun und Rainer Kirsch gaben Gedichte dazu. Von den insgesamt 400 und davon 200 signierten Exemplaren sollten 100 Mappen als Geschenksendungen in die DDR gehen.
Auch zu Grieshabers Ausgabe „Dran dran weil ir tag habt – Originalgrafik und Lyrik zum 450. Jahrestag des Deutschen Bauernkriegs“ trug Braun Gedichte bei. Als weitere Mitarbeiter sind zu nennen Bernd Heisig, Albert Kapr und Günter Kunert. Zum 20. Jahrestag der kubanischen Revolution kommt die Mappe „Herreißen die Zukunft“ mit einem Text Brauns und Holzschnitten Grieshabers heraus. Zu Volker Brauns Theaterstück „Guevara oder Der Sonnenstaat“, das damals in der DDR nicht gedruckt und aufgeführt wurde, weil es die SED-Kulturfunktionäre ablehnten, schuf Grieshaber Grafiken. Noch ein Jahr vor seinem Tod schnitt er das Plakat zur Lesung Brauns im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am 14.5.1980 und es trägt den Untertitel „Einzug der Sandinisten in Managua“ – es zeigt zwei Frauen, die gemeinsam eine Lanze zerbrechen.
Schwerter zu Pflugscharen
Dieses gemeinsame Lanzenzerbrechen steht als symbolisches Zeichen für die gemeinsame Friedens-Zusammenarbeit mit Autoren in der DDR während des Kalten Krieges. Wie bereits erwähnt können wir nur schlaglichtartig Akzente setzen, könnten noch auf Franz Fühmann verweisen, der Grieshaber auf der Achalm besucht und nach des Holzschneiders Tod den „Behindertenengel“ alleine herausgibt. Oder auf Sarah Kirsch, zu deren Buch „Sieben Häute“ Grieshaber ein Blatt schneidet, das einen Baum zeigt, aus dessen fruchtbringender Rinde eine Figur und ein adlerartiger Vogel herauswachsen. Was sollte es darstellen? Ist es der Verweis auf Kirschs Literatur und ihrer Auseinandersetzung mit der Natur als Spiegel menschlicher Beziehung und gesellschaftlicher Zustände? Sarah Kirsch, Martin Walser, Wladimir Majakowski und Günther Eich widmen Grieshaber und Hannsmann 1972 das Werk „Das andere Ufer vor Augen“, eine bildlich-literarische Reise durch das schwäbische Münsingen, vorbei an Schleiz, Greiz, Dresden, Leipzig, Freiberg, Eisleben und Nürnberg. HAP Grieshaber begegnete auch Christa Wolf während der VI. Rostocker Ostseebiennale und er hatte die Absicht zu deren Lesung in Marbach ein Plakat zu entwerfen, konnte es jedoch nicht mehr einlösen. Bei der Biennale zuvor – zu der er 1972 als Komitteemitglied berufen wurde und bis 1979 beteiligt war – hatte er es jedoch noch geschafft drei seiner Karlsruher Schüler einzuladen: Horst Antes, Josua Reichert und Rolf Szymanski. Grieshaber hatte die deutsch-deutsche Zusammenarbeit inmitten des Kalten Krieges wahrlich vorangetrieben. Der „Totentanz von Basel“ bildete die Initialzündung.
Anmerkungen:
- Bloch, Karola: Brief vom 22.10.1073 an HAP Grieshaber. Ehemaliges Archiv Margarete Hannsmann Stuttgart
- Hierbei handelt es sich um den nachweislich ersten Achalmbesuch des 1961 in die BRD ausgereisten Bloch. Grieshaber, HAP: Brief vom 1.9.1969 an Margarete Hannsmann. Ehemaliges Archiv Margarete Hannsmann
- Grieshaber, HAP: Brief vom 30.7.1970 an Ernst und Karola Bloch. Ehemaliges Archiv Margarete Hannsmann
- Auszug aus einem Gespräch mit Ekkehart Rudolph 1971. Heinrich Böll. Leben und Werk. Publikation der Heinrich Böll Stiftung 2017. boell.de/29.10.17/17.16 Uhr
- Grieshaber, HAP: Engel der Geschichte I. Den Kölner Lehrerinnen gewidmet. Mit Beiträgen von Sr. M. Bertha OSF., Heinrich Böll, Ludwig Greve, HAP Grieshaber, Julius Alfred Jäger, Werner Oberle, Georg Schmidt, Kurt Ulrich, Walter Warnach. Fotos: Walter Renz. Manuspresse Stuttgart 1964
- Grieshaber, HAP: Brief vom 6.2.1966 an Rudolf Mayer. Archiv Sächsische Landesbibliothek Dresden
- Fürst, Margot: Grieshaber. Die Druckgraphik. Werkverzeichnis Band 2 1966-1981. Stuttgart 1984, WV-Nr. 74/41.
- Die ohne Datum versehenen Manuskripte der Reden in Leipzig und Weimar befinden sich ehemaligen Archiv von Margarete Hannsmann Stuttgart und sind im „Pfauenschrei“ abgedruckt. Hannsmann, Margarete: Pfauenschrei, S. 337-339 (Leipziger Rede) und S. 339f. (Weimarer Rede)
- Alle hier verwendeten Fotos aus der WIKIPEDIA-Datenbank wurden am 7.11.2017 hochgeladen.